Deutschland„Pressefreiheit rund um Nahost-Berichterstattung unter Druck“

Reporter ohne Grenzen beklagt die Zunahme körperlicher Angriffe auf Journalist:innen in Deutschland. Neben rechtsradikalen und verschwörungsideologischen Protesten seien vor allem Demos zum Nahostkonflikt gefährlich für Medienschaffende. Bei dem Thema sei zudem der Meinungskorridor innerhalb von Redaktionen verengt.

Zerstörte Häuser im nördlichen Gaza-Streifen.
Zerstörte Häuser im nördlichen Gaza-Streifen. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / APAimages

Die Zahl verifizierter Übergriffe auf Journalist:innen hat sich in Deutschland im vergangenen Jahr verdoppelt. Insbesondere rund um die Nahost-Berichterstattung sei die Pressefreiheit unter Druck, schreibt die Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF) heute in ihrer Nahaufnahme Deutschland (PDF). Die jährliche Bestandsaufnahme zur Pressefreiheit in Deutschland zeigt, dass sich der Meinungskorridor zum Israel-Palästina-Konflikt auch innerhalb von Redaktionen stark verengt habe.

Im Jahr 2024 hat Reporter ohne Grenzen insgesamt 89 Attacken auf Medienschaffende und Medienhäuser dokumentiert. Weitere Berichte von Angriffen sind nicht in die Zählung eingeflossen, weil diese nicht unabhängig überprüft werden konnten. 75 der 89 Angriffe umfassten körperliche Gewalttaten. Im Jahr davor hatte es laut RSF nur 41 Übergriffe gegeben. Gefährlich für Journalist:innen waren vor allem Nahost-Demonstrationen mit 38 physischen Übergriffen. Außerdem Proteste aus dem rechtsradikalen und verschwörungsideologischen Umfeld, bei denen 21 Angriffe dokumentiert wurden.

Der Bericht warnt zudem vor einer wachsenden grundlegenden Pressefeindlichkeit, die Journalist:innen im Kontakt mit der Bevölkerung fühlen. Insgesamt würden Reporter:innen auf ein verengtes Verständnis von Pressefreiheit stoßen. „Denn viele Bürger:innen sehen Berichterstattende, die nicht ihrem eigenen ideologischen Spektrum entstammen, als Gegner an“, heißt es im Bericht.

Verengte Pressefreiheit bei Nahost-Themen

Einen verengten Meinungskorridor beklagen Medienschaffende gegenüber RSF vor allem im Hinblick auf den Konflikt zwischen Israel und Palästina. Die Organisation hat nach diesen Beschwerden mehr als 60 qualitative Interviews mit Medienschaffenden in unterschiedlichen Medien geführt. Dabei kam RSF zum Ergebnis:

Vor allem Reporter:innen, welche die Art der israelischen Kriegsführung, deren Auswirkungen auf die palästinensische Bevölkerung oder die Konsequenzen des Krieges auf das gesellschaftliche Klima in Deutschland beleuchten wollten, berichten von außergewöhnlichen Belastungen und Druck – von außen wie innerhalb von Redaktionen.

Die Medienschaffenden berichten darüber, dass Artikelvorschläge zu diesen Themen häufig abgelehnt wurden und dass es erbitterte Debatten in den Redaktionen gab. Außerdem herrschten strenge Sprachregelungen mit dem Ziel vor, die Medien vor möglichen Antisemitismus-Vorwürfen zu schützen.

Journalist:innen berichten laut Reporter ohne Grenzen zudem von „äußerst langwierigen Kontroll- und Aushandlungsprozessen zu Begriffen, mit denen die israelische Kriegsführung kritisiert wird“. Außerdem würden immer wieder Aussagen palästinensischer Quellen und unabhängiger Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International, Human Rights Watch oder selbst der Vereinten Nationen grundsätzlich in Frage gestellt – anders als solche des israelischen Militärs. Hinzu kämen Shitstorms in sozialen Medien, sowohl gegenüber Journalist:innen, die als pro-palästinensisch oder pro-israelisch wahrgenommen wurden.

Quellen und Journalist:innen vor Überwachung schützen

Ein weiteres Problemfeld für die Pressefreiheit in Deutschland ist die sinkende Medienvielfalt und zunehmende Monopolbildung. Hierbei könnten laut RSF eine eindeutige steuerliche Anerkennung von gemeinnützigem Journalismus im Gemeinnützigkeitsrecht Abhilfe schaffen.

Reporter ohne Grenzen betont in der Pressemitteilung zum Report auch die Notwendigkeit des Quellenschutz und des Schutzes vor Überwachung: „Vorhaben wie die IP-Vorratsdatenspeicherung, die Ausweitung von Staatstrojanern, der Einsatz biometrischer Identifikationsverfahren und Datenbanken oder das Brechen von Verschlüsselung gefährden die vertrauliche Kommunikation zwischen Medienschaffenden und ihren Quellen.“

Gleichzeitig dürften journalistische Möglichkeiten der Informationsgewinnung und Recherche nicht beschnitten werden. So solle das Informationsfreiheitsgesetz (IGF) nicht geschwächt, sondern in ein bundesweites Transparenzgesetz überführt werden.

Deutschland steht auf der Rangliste der Pressefreiheit derzeit auf Platz 10 von 180 Staaten. Am 3. Mai 2025 erscheint die aktualisierte Rangliste.

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2 Ergänzungen

  1. „Meinungskorridor“ ? Bei Berichterstattung um Kriegsverbrechen oder Terrorismus muss es doch am Ende nicht um Meinungen gehen sondern um Fakten. Es bräuchte da mehr Daten Journalismus wo mit Sattelittendaten oder Drohnen usw arbeitet, mehr Daten selbst aufzeichnet und dann u.a auch unabhängiger von den Konfliktparteien berichten kann.

    Über GAZA sollten eigentlich Tag und Nach Presse Drohnen kreisen so das sich direkt feststellen lässt welche Seite nun welche Verbrechen begangen hat oder nicht. Sozusagen ein transparentes Konfliktfeld das Beobachtet wird um unabhängig die Fakten zu sichern.

    1. Das Wort stammt aus dem Report und der Pressemitteilung von Reporter ohne Grenzen. Ich denke, dass es Meinungskorridor auch ganz gut trifft, weil ja auch die Berichterstattung über Fakten und über bestimmte Aussagen/Meinungen eingeschränkt ist durch diesen engen Meinungskorridor.

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